„Ich habe meinen Stall gefunden“
Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, Franz Eder, 24.12.2021
Beitragsbild: Um einen Tunnelblick zu vermeiden, sucht Benedikt Löw immer wieder die Abwechslung. Diese findet er auch in den Bergen. – Fotos: Benedikt Löw / privat
„Und aus welchem Stall bist du? Zu welchem Stall gehörst du?“, fragt Benedikt Löw die versammelte Gemeinde anhand einer bekannten Redewendung aus dem Bairischen. Mit anderen Worten: „Woher kommst du?“ Gemeint ist dabei aber nicht nur die geografische oder familiäre Herkunft, sondern auch: „Wer bist du? Was hat dich geprägt? Wo und wie bist du groß geworden? Ja, was macht dich als Person aus?“
Der 32-Jährige ist voll in seinem Element, wenn er sich bei seiner Predigt zum 4. Adventssonntag auf die Spur der Heimat und des „Zuhause seins“ begibt. Das Zuhause des Freilassingers ist nun die altkatholische Gemeinde in Augsburg, in der er gerade seine Ausbildung zum Pfarrer absolviert. Doch der Weg hierher war für ihn keineswegs vorgezeichnet, denn lange Zeit war Löw fest in der katholischen Kirche verwurzelt.
Mehr zum Thema: Die Altkatholische Kirche
Aufgewachsen im Ortsteil Hofham, fühlt er sich früh wohl in der Pfarrei St. Korbinian und engagiert sich dort als Ministrant, Pfadfinder und in der Landjugend. „Damals war es schon immer ein bisschen im Hinterkopf, dass ich gerne Pfarrer werden möchte“, blickt er heute zurück. Und so tritt er nach dem Abitur und der Bundeswehrzeit ins Priesterseminar ein. Doch schon das Einführungsjahr in Passau kommt für ihn eher einem Schock gleich. “ Mir war das von Anfang an zu konservativ. Ich habe mich da einfach nicht wiedergefunden,“ blickt er auf seine ersten Eindrücke zurück.
„Ich war im Studium immer der Exot“
Dem Studium bleibt er aber mit Unterbrechungen treu. Nach einer Station in Linz wechselt er bei der Hälfte nach München, wo er es noch einmal mit dem Priesterseminar probieren möchte. An seinem grundsätzlichen Gefühl ändert sich aber nichts. „Ich war dort immer irgendwie der Exot und nie einer, der jetzt den ganzen Tag mit dem Rosenkranz auf den Knien rumgerutscht wäre.“ Viel wichtiger ist ihm der Kontakt zu Menschen, die nicht unmittelbar etwas mit der Kirche zu tun haben. Löw will nicht nur in seiner Blase unterwegs sein. So hatte er es aus seiner Zeit in Freilassing bei den Trachtlern und der Musikkapelle auch immer gekannt. „Freilich sind das alles Traditionsvereine, aber da ging‘s auch nicht ständig um Glaube und Kirche. Und das war mir auch im Theologiestudium wichtig, um einen Tunnelblick zu vermeiden.“ Drum nutzt er die wenige Freizeit für Hobbys, bei denen er andere Menschen kennenlernt. Der heute 32-Jährige spielt Rugby und geht Boxen, was der Ausbildungsleitung stets ein Dorn im Auge ist. „Es wurde zwar nicht direkt ausgesprochen, aber man hat gespürt, dass Vorbehalte da sind. Es hieß halt dann: ‚Wo treibt er sich denn jetzt schon wieder rum?‘ und ‚Auf Sie müssen wir besonders aufpassen‘.“
Dabei hatte er immer ein gegenteiliges Bild von einem Priester vor Augen – das eines „gestandenen Gemeindepfarrers“, der sich unter die Menschen mischt und für diese da ist. „Ich bin eben eher leutselig und in allen möglichen Ansichten weit entfernt von konservativ.“ Als einer der wenigen, der seine Glaubens-Wurzeln in der Pfarrei hat, sieht er sich mit dieser Position zunehmend allein auf weiter Flur. „Ich habe schnell das Gefühl gehabt, dass die obere Ebene da ziemlich entrückt ist von dem, was da unten passiert.“ Dieses „überhöhte Bild eines zölibatär lebenden, ewig frommen Pfarrers, der rund um die Uhr den Glauben verkündet und am Besten immer für alle gleich den richtigen Ratschlag parat hat“, widerstrebt ihm vollkommen. Je länger Löw im Priesterseminar ist, desto mehr wird ihm dies klar und desto mehr trennt sich die Spreu vom Weizen, wie er sagt. „Für die einen ist das genau ihres, die andern fallen runter und können sich damit gar nicht identifizieren. Da haben wir uns gegenseitig einfach nicht verstanden.“ Das Theologie-Studium zieht er – mangels Alternativen – aber dennoch durch. „Ich hab mir gedacht: Hauptsache ein Abschluss, da fällt dir dann schon noch etwas Anderes ein.“
Über ein paar Umwege landet Löw schließlich in der katholischen Erwachsenenbildung in München. Als theologischer Referent begleitet er Pfarrgemeinderäte und Ehrenamtliche mit Schulungen. „Das war ein guter Einstieg ins Berufsleben“, ist der 32-Jährige heute überzeugt. Doch als katholischer Theologe wird er auch häufig mit Vorbehalten konfrontiert. „Mir war das irgendwann zu blöd. Ich wollte nicht dauernd über Probleme reden, die eine Institution hat. Eigentlich bin ich doch ein gläubiger Mensch und mich käst das an, dass dieser ganze negative Ballast ständig alles überlagert.“
Benedikt Löws Entfremdungsprozess mit der katholischen Kirche ist da bereits in vollem Gange. Die Gegensätze zu Positionen, die er nicht länger mittragen will, werden für ihn dabei immer unüberbrückbarer. „Ich bin jemand, der reagiert allergisch, wenn ich merke: Es geht etwas strukturell ungerecht zu. Und dieses Gefühl hatte ich immer mehr.“ Besonders stören ihn Grundsätze, wonach Geschiedenen die Kommunion vorenthalten wird oder der Umgang mit dem Thema Homosexualität, das ihn auch selbst betrifft.
„Religion darf nicht bis ins letzte Private reinpfuschen“
„Ich bin der Meinung, dass Religion zwar eine Richtschnur sein kann, aber einem nicht bis ins Letzte ins Privatleben reinpfuschen darf.“ Dadurch entstünde für viele Leute der Eindruck, es gebe ein Regelwerk, das es zu befolgen gelte. „Ich muss mich anpassen, damit ich dazupassen kann. Das verprellt viele und das ist nicht meine Überzeugung.“
Obwohl er lange mit sich ringt, ist für ihn irgendwann klar, dass er hier keine Heimat mehr hat. Doch konfessionslos sein, ist auch keine Alternative. Zuerst überlegt Löw daher, ob er evangelisch werden soll und führt Gespräche mit einem Pfarrer. „Wir haben uns von Anfang an super verstanden. Aber nach vier Mal hat er gemeint, dass evangelisch für mich gar nicht geht.“ Vielmehr vertrete er einen modernen, liberalen Katholizismus, der nicht ganz zur Identität der evangelischen Kirche passe. Jedoch hat der Pfarrer einen anderen Vorschlag parat: die altkatholische Kirche. „Da habe ich zuvor im Studium nur Negatives gehört und geglaubt, dass das irgendeine Sekte ist. Der Name ist marketingtechnisch ja auch eine totale Vollkatastrophe“, erinnert sich Löw an seine damaligen Gedanken.
Dennoch sucht er schließlich den Kontakt zur Gemeinde in München und wird gleich gut aufgenommen. „Ich hab mich von Anfang an wohlgefühlt und gedacht, wenn ich mal einen anderen Arbeitgeber habe, zahle ich meine Kirchensteuer lieber hierhin als ans große Unternehmen.“ Tatsächlich wechselt er bald darauf als Jugendbildungsreferent zur Volkshochschule München und am Stefanitag vor zwei Jahren wird er altkatholisch. „Das war mir wichtig, weil ich an dem Tag auch getauft wurde.“
Schnell steht für ihn fest, dass er auch altkatholischer Theologe werden will. Deshalb beginnt er ein Masterstudium an der Universität Bonn. Dass er Pfarrer werden möchte, war zu diesem Zeitpunkt aber noch kein Thema – bis Corona kam. Auch, weil er viel Zeit im Büro verbringt und ihm der Kontakt zu Mitmenschen fehlt, liebäugelt er damit, seinem Leben noch einmal eine völlig neue Richtung zu geben. Und so fügt sich heuer im Frühjahr eines zum anderen. Sein vorgesehenes Praktikum absolviert er im ersten Quartal in einer Gemeinde in Augsburg. Die Chemie mit der Pfarrerin stimmt auf Anhieb und er darf auch gleich viele Aufgaben übernehmen. „Da habe ich gemerkt, dass die Leute offen auf mich reagieren und habe gewusst: Das kannst du, das ist deine Arbeit.“ Mit Anfang 30 beschließt er, Pfarramtsanwärter im Vikariat zu werden. Zu allem Glück wird ihm diese Stelle auch noch in Augsburg angeboten. Nächstes Jahr im Juni steht die Diakonenweihe an und im Jahr 2023 wird der Freilassinger dann zum Priester geweiht.
Wenn er nun gegen Ende dieses für ihn so besondere Jahr Revue passieren lässt, ist Löw die Zufriedenheit über den eingeschlagenen Weg deutlich anzumerken. „Die letzten zwölf Jahre ist für mich wirklich alles anders gekommen als ich mir das mit 20 vorgestellt habe. Mit Augsburg habe ich vorher nie etwas zu tun gehabt und die Stadt nur von der Puppenkiste gekannt“, sagt er schmunzelnd.
„Jeder Mensch muss in der Kirche willkommen sein“
Doch inzwischen ist ihm sein neues Aufgabengebiet schon recht vertraut. „Weihnachten ist daher für mich heuer so ein bisschen wie Heimkommen“, sagt der 32-Jährige. „Gerade in Krisenzeiten wird es für Menschen immer wichtiger, dass man seinen Stall findet – da, wo man hineingehört.“ Da sei auch nicht alles perfekt und Gold, was glänzt. „Das kann ein Stall auch gar nicht sein.“ Doch genau das Eingeständnis der Fehlbarkeit, sich nicht selbst zu überhöhen und sich nicht anzumaßen, „fixe Modelle und Rollen vorzugeben, in die ich meine Gläubigen pressen will“, schätzt Löw besonders an der altkatholischen Kirche. Ihm geht es darum, eine offene Kirche zu leben und den Glauben in eine moderne und vielfältige Gesellschaft weiterzutragen. „Die Kirche muss ein Ort sein, an den der Mensch als solcher wie er ist – mit all seinen guten und schlechten Seiten – hinkommen darf“, schlägt Löw die Brücke zur Weihnachtsgeschichte. „Die Hirten waren damals sicher auch nicht die gebildetsten, überfrommen und religiösen Leute.“ Sie waren aber die ersten an der Krippe in Bethlehem, gefolgt von den Königen, die gar keine Juden waren. „Da ist auch keiner davor gestanden und hat gesagt: Du darfst rein und du nicht.“ Das ist für Löw die politische Dimension und das „Revolutionäre“ des Christentums. „Deshalb feiere ich jedes Jahr gerne Weihnachten. Und dieses Jahr besonders gerne, weil ich glaube, dass ich meinen Stall gefunden habe.“