Foto Pixabay, Frau mit Handtasche auf einer Bank

„Wenn ich gewusst hätte, dass es Sie gibt“

Die Interventionsstelle des SkF mit Büro in Freilassing hilft bei häuslicher Gewalt

Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, Julian Traublinger, 15.06.2024

Beitragsbild: Symbolfoto, „Die Gewalt in der häuslichen Umgebung ist oft mit Scham behaftet. Doch es gibt einen Ausweg.“ − Foto: José Antonio Alba, Pixabay

Freilassing / BGL. Die Interventionsstelle des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF) mit Büro in Freilassing hilft in den Landkreisen BGL und TS bei häuslicher Gewalt. Für die Verantwortlichen ist wichtig, dass Menschen, die von Gewalt betroffen sind, wissen, wo sie sich hinwenden können. Zu viele würden sagen: „Wenn ich das gewusst hätte, dass es Sie gibt.“

Die psychische, körperliche, sexuelle, wirtschaftliche und neuerdings digitale Gewalt in der meist häuslichen Umgebung ist häufig, dabei oft unsichtbar und mit Scham behaftet. Sabine Weiß von der Interventionsstelle des Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) mit Büro in Freilassing und Polizistin Karin Wagner machen jedoch Mut: „Niemand sollte in einer Gefahrensituation daran denken, ‚was sagen die Nachbarn?‘“, so Wagner.

Sie ist Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer am Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim. An jeder Polizeiinspektion hat sie Kolleginnen und Kollegen als sogenannte Schwerpunktsachbearbeiter „Partnerschaftsgewalt“. Konkrete Straftaten im Bereich von häuslicher Gewalt und Partnerschaftsgewalt sind zum Beispiel Bedrohung, Körperverletzung, sexuelle Übergriffe, Stalking, bis zu Vergewaltigung, Totschlag und Mord. Der SkF geht davon aus, dass es weit mehr Fälle gibt, als die angezeigten.

Im Fokus stehen Frauen als Opfer von Partnerschaftsgewalt. Hier arbeitet der SkF mit der Polizei in der Region zusammen. In Rosenheim betreibt er das Frauenhaus Rosenheim/Traunstein, zusammen mit dem Frauenhaus in Burghausen ist es das zum hiesigen Landkreis nächstgelegene. In Berchtesgaden gibt es seit 2021 eine Krisenwohnung. Dort verfügt die Interventionsstelle auch wie in Freilassing und in Traunstein über ein Büro für die Beratungstätigkeit.


Entscheidend ist die Prävention


Deutschland hat sich verpflichtet, gemäß der Istanbul-Konvention genügend Frauenhausplätze bereitzustellen. „Im Vergleich zu dieser Verpflichtung gibt es in Deutschland zu wenige davon“, konstatiert Sabine Weiß. „Aber wir müssen viel eher ansetzen, mit mehreren Baustellen.“ Damit meint die Sozialpädagogin und Traumafachberaterin zum Beispiel die Vorsorge im Unterricht an Schulen oder auch die Täterarbeit.

„Präventionsangebote des SkF in Bezug auf häusliche Gewalt gibt es in Traunstein und im Berchtesgadener Land gar keine.“ Der Verein würde sich Ressourcen wünschen, um an die Schulen zu gehen und ein Konzept für die Aufklärung zum Thema häusliche Gewalt etablieren zu können. „Wir machen zumindest sexualpädagogische Arbeit an Schulen, so können wir bekannter werden. Denn es ist wichtig, dass Menschen, die von Gewalt betroffen sind, wissen, wo sie sich hinwenden können. Viele sagen in unserer Beratung: ‚Wenn ich das gewusst hätte, dass es Sie gibt.‘“

Die Interventionsstelle arbeitet pro-aktiv, das heißt, sie geht auf Frauen zu, die sich an die Polizei gewandt haben und einverstanden sind, dass sie vom SkF kontaktiert werden. „Von sich aus würden sich nur selten Betroffene melden“, so Weiß. Es sind Frauen aller Altersstufen und Gesellschaftsschichten betroffen.

Die auf Partnerschaftsgewalt spezialisierte Anwältin Asha Hedayati schreibt in ihrem kürzlichen Buch zum Thema: „Es gibt wirklich wenig, was so radikal und mutig ist, wie eine Frau, die sich aus einer gewaltvollen Partnerschaft trennt.“ – „So ist es einfach“, nickt Sabine Weiß dazu. „Es ist schwierig, sich zu befreien. Zumal aufgrund der ökonomischen Gewalt. Für die Frauen muss ja auch erst klar sein, aus welchen finanziellen Mitteln sie ihr weiteres Leben gestalten können.“

Hier ist der SkF behilflich mit einem breitgefächerten Netzwerk von unter anderen Anwälten, Ehe- und Familienberatungsstelle, Erziehungsberatungsstelle, Jobcenter, Ärzten, Weißer Ring, Gericht, Jugendamt, Frauenhaus, Landratsamt und Kliniken. „Die Beratung ist auf den Bedarf der Frauen ausgerichtet. Es gibt Beratung über das Telefon bis zur persönlichen Beratung, im Notfall auch vor Ort“, berichtet Weiß.

Sabine Weiß in ihrem Büro in Freilassing – Foto: Julian Traublinger

Auf die Landkarte der Autonomen Frauenhäuser im Internet angesprochen, wonach die Einrichtungen in der Region meist voll belegt sind, entgegnet sie: „Ich habe es noch nie erlebt, dass ich für eine Frau keinen Platz bekommen habe. Dafür habe ich auch schon eine Frau nach Berlin vermittelt. Nicht, weil nichts mehr frei war, sondern aufgrund der Gefährdung der Frau. Und auch wenn in unserem Frauenhaus in Rosenheim Söhne nur bis zum Alter von zwölf Jahren aufgenommen werden, kümmern wir uns sehr wohl, weiterzuvermitteln. Genauso wird bei Ausschlusskriterien wie Sucht oder psychischer Erkrankung geholfen.“


„Nur zwölf Arbeitsstunden für Landkreise TS und BGL“


Die Sozialpädagogin und die Kriminalhauptkommissarin sehen dabei durchaus Verbesserungsbedarf, was die Ausstattung der Hilfeorganisationen angeht. Finanziell sei „Luft nach oben“, so Karin Wagner. Weiß bestätigt das: „Ich habe nur zwölf Arbeitsstunden für die beiden Landkreise Traunstein und BGL. Die Aufstockung von Personaleinsatz beziehungsweise Stundenaufwand wäre schon sehr, sehr gut.“ Wünschenswert findet sie darüber hinaus eine Stalkingstelle im Berchtesgadener Land, die es auch schon einmal gab, und eine Einrichtung wie die „Fachstelle TäterInnenarbeit häusliche Gewalt“ der Diakonie in Rosenheim.

Was die Berchtesgadener Krisenwohnung angeht, steht der SkF derzeit mit dem Landratsamt Berchtesgadener Land in Verhandlungen, um eine Regelfinanzierung durch die Kommune zu erreichen. Bisher wird die Wohnung über die Erzdiözese München und Freising finanziert. Eine kreiseigene Wohnung als Pendant gibt es in Traunstein bereits.

Bei der Interventionsstelle selbst war bis 22. Dezember 2023 wie jedes Jahr offen, wie es weitergeht. Es wird jährlich neu entschieden. Theoretisch könne es sein, dass sie gestoppt wird, meint Sabine Weiß. „Das will ich nicht hoffen. Angesichts der Anzahl der Faxe von der Polizei kann man das Projekt nicht einfach beenden.“


Jeden zweiten Tag ein Verdachtsfall

Für das Jahr 2022 nennt die Beauftragte der Polizei für Kriminalitätsopfer am Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim 178 polizeilich erfasste Fälle von Partnerschaftsgewalt im Landkreis BGL und im Landkreis Traunstein 285 Fälle. Das heißt, fast jeden zweiten Tag scheint bei der Polizei im Berchtesgadener Land ein Verdachtsfall auf.

Dass beim Thema häusliche Gewalt vordergründig an Frauen und Kinder als Leidtragende gedacht wird, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch Frauen Täterinnen und Männer Opfer sein können. „2022 gab es 1.472 männliche und 472 weibliche Tatverdächtige sowie 476 männliche und 1.451 weibliche Opfer“, gibt die Beauftragte für Kriminalitätsopfer, Karin Wagner, zur Auskunft.


„Für beide Geschlechter ist die Dunkelziffer sehr massiv“, so Sabine Weiß. Auf die Frage, ob es für betroffene Männer besonders schwer sei, sich Hilfe zu holen, antwortet sie mit einem klaren „Ja!“. „Es gibt von uns mittlerweile Beratung durch ‚Lichtblicke‘ in Traunstein. Pro Jahr melden sich circa fünf bis sechs Männer. Das sind wenige. Es gibt eine große Hemmschwelle und wenig Bekanntheit des Beratungsangebots. Bei den betroffenen Männern geht es mehr um psychische Gewalt und um andere Formen körperlicher Gewalt.“

Der SkF bietet eine psychosoziale Entlastungsberatung für Männer. „Häufig bin ich die erste, mit der sie über das Problem sprechen. Es geht zum Beispiel darum, Vertrauen aufzubauen, Kontakt zum Kind zu vermitteln, um eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt oder auch Angelegenheiten der Unterhaltszahlung, Kontakt zu einem Anwalt und Scheidungsfragen.“


„Jeder kann helfen oder die Polizei verständigen“


Was kann der einzelne gegen häusliche Gewalt tun? „Jeder kann helfen oder die Polizei verständigen“, weist Wagner auf die Zivilcourage hin. Darauf baut auch die Initiative „StoP, Stadtteile ohne Partnerschaftsgewalt“, die von Norddeutschland ausgeht, aber auch in Österreich existiert, etwa in Salzburg-Lehen.

Apropos Österreich – international zusammengearbeitet hat der SkF noch nicht. „Das könnte ich mir aber für die Zukunft vorstellen, etwa als Hilfe im Notfall“, bekundet Sabine Weiß. Sie wechselte mit 1. Juni 2024 zur Schwangerenberatung. Um das Thema häusliche Gewalt kümmert sich an ihrer Stelle jetzt Marita Koralewski.


Kontakte: Im Notfall raten Polizei und SkF zum Wählen der Telefonnummer 110 des Polizeinotrufs. Außerdem können sich Betroffene kostenfrei an das Hilfetelefon 116 016 (auch in 18 Fremdsprachen) wenden, sowie an das Frauenhaus Rosenheim unter ✆08031/ 381478. – Interventionsstelle Berchtesgadener Land: Ludwig-Zeller-Str. 2, Freilassing, interventionsstelle@skf-prien.de -Beratungsstelle „Lichtblicke“ über SkF-Beratungsstelle Traunstein, ✆0861/1302. Das Trauma Hilfe Zentrum München ist unter anderem eine Anlaufstelle für Männer als Opfer häuslicher Gewalt: ✆089/ 41327950.