Julian Traublinger mit dem Antwortschreiben von Dr. Bärbel Kofler, MdB

„Es ertrinken weiter Menschen“

Ein Spaziergang mit… Julian Traublinger – Er engagiert sich für Bootsflüchtlinge und nimmt die Euregio in die Pflicht

Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, 20.08.2020

Julian Traublinger mit Antwortbrief der Menschenrechtsbeauftragten der deutschen Bundesregierung

Freut sich über das Antwortschreiben, auch wenn er sich mehr erhofft hätte: Julian Traublinger. −Foto: Johannes Geigenberger

Freilassing. Angesichts von Corona treten andere Probleme weitgehend in den Hintergrund. Dabei ist es erst fünf Jahre her, dass die Grenzen nicht wegen einer Pandemie, sondern wegen des Flüchtlingszustroms abgeriegelt wurden. Zwar hat sich diesbezüglich die Lage entspannt, erinnert Julian Traublinger, doch weiterhin würden viele Bootsflüchtlinge ertrinken. Der 38-jährige Zollbeamte engagiert sich deshalb gemeinsam mit Volt Salzburg für die Seenotrettung und erzählt der Heimatzeitung bei einem Spaziergang, was er konkret unternimmt.

Hallo Herr Traublinger, was haben Sie denn da für einen Brief?
Julian Traublinger: Ich habe eine Antwort von Dr. Bärbel Kofler bekommen, die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. An sie und viele andere öffentliche Stellen habe ich einen offenen Brief geschrieben, in dem ich darauf aufmerksam mache, dass noch immer viele Menschen im Mittelmeer ertrinken. (siehe Kasten*)

Was fordern Sie konkret?
Traublinger: Ich würde mir wünschen, dass sich die Mitgliedsorte der Euregio – also Orte in Bayern wie in Österreich – zu einem „sicheren Hafen“ für aus Seenot gerettete Menschen erklären. Das würde bedeuten, dass sie im Fall des Falls aus Seenot gerettete Menschen aufnehmen. Aus meiner Sicht ist das eine Möglichkeit, wie man das Sterben im Mittelmeer beenden könnte.

Und was steht in der Antwort?
Traublinger: Frau Kofler – immerhin Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung – schreibt, dass sie sich zwar freuen würde, wenn sich die Gemeinden und Orte zu solchen sicheren Häfen erklären würden und aus Seenot gerettete Menschen aufnehmen. Doch leider nicht, wie man sie konkret dazu bewegen kann. Aber ich freue mich, dass sie überhaupt geantwortet hat. Viele andere Adressaten haben sich überhaupt nicht gemeldet.

Wer hat denn noch geantwortet?
Traublinger: Der Zweite Präsident des Salzburger Landtags, Dr. Sebastian Huber von den NEOS. Er findet das Ansinnen zwar auch gut [Link zum Schreiben von Dr. Huber], kann es allerdings nicht aktiv unterstützen, da die Neos keinen Sitz im Euregio-Gremium haben. Er hat allerdings versprochen, das Anliegen bei Gesprächen mit Vertretern der Euregio aktiv anzusprechen.

Warum ist Ihnen das Thema überhaupt so wichtig?
Traublinger: Ich habe mal ein Austauschsemester in Malta absolviert und konnte damals auch ein Flüchtlingsheim besuchen. Das war wirklich sehr interessant – Die Menschen waren sehr freundlich und aufgeschlossen. Das konnte man von den meisten Einheimischen nicht sagen: Die traten den Flüchtlingen sehr feindlich gegenüber und alles andere als christlich – und das, obwohl Malta ja eigentlich fast zu 100 Prozent katholisch ist. Die Flüchtlinge wiederum wollten ja eigentlich gar nicht auf Malta bleiben, sondern nach Kontinentaleuropa. Sie mussten aber auf der Insel bleiben und ihr Asylverfahren abwarten, weil sie da zuerst EU-Boden betraten. Es ist vertrackt.

Aber glauben Sie nicht, dass – wenn man die Möglichkeiten zur legalen Einreise vereinfacht – das noch viel mehr Flüchtlinge anziehen würde und unsere Kapazitäten dann wirklich irgendwann erschöpft sind?
Traublinger: Es würde vielleicht für deutlich mehr Einwanderung sorgen, aber was ist die Alternative? Die Türsteher-Funktion, die den Maghreb-Staaten und der Türkei von der EU zugewiesen wird, ist ein Skandal. Es würde zu weniger tödlichen Unfällen und weniger Ausbeutung führen. Und Deutschland profitiert von einer Handels- und Finanzpolitik, welche afrikanische Märkte beschädigt und die Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung dort befördert. Die deutschen „Normalbürger“ haben nicht unbedingt etwas davon, sollten aber entsprechend ihren Politikern auf die Zehen steigen, um für gerechten Wohlstand hüben wie drüben zu sorgen.

Das Interview führte Johannes Geigenberger.

*Kasten:

Das ist seine Forderung
20.08.2020

Julian Traublinger möchte erreichen, dass die Euregio-Orte „sichere Häfen“ für Bootsflüchtlinge werden. Was das konkret bedeutet, hat er in elf Punkten festgehalten, die sich in sechs Themenfelder zusammenfassen lassen. Diese sind:

• Die Euregio-Orte sollen sich mit Menschen auf der Flucht und der Seenotrettung solidarisieren.

• Die Euregio-Orte sollen sich dafür einsetzen, dass die EU ihre Abschottungspolitik beendet. Seenotrettung soll nicht länger kriminalisiert werden, es soll außerdem staatliche Seenotrettungsmissionen geben.

• Die Euregio-Orte sollen sich bereiterklären, Menschen auf der Flucht aufzunehmen und das in deutlich größerem Umfang als bisher und zusätzlich zu den geltenden Verteilungsquoten.

• Die Euregio-Orte sollen den bei ihnen untergebrachten Flüchtlingen ein gutes und sicheres Leben gewährleisten. Dazu gehört beispielsweise eine entsprechende medizinische Versorgung und Zugang zu Bildung. Gegebenenfalls sollen Bleibeperspektiven aufgezeigt werden.

• Die Euregio-Orte sollen sich diesbezüglich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene vernetzen und sich für eine menschenrechtskonforme europäische Migrationspolitik einsetzen.

• All diese Anstrengungen der Euregio sollen transparent und nachvollziehbar verlaufen.

Anmerkung J. T.: Nach Veröffentlichung des Interviews hatte ich mit dem Geschäftsführer der Euregio, Steffen Rubach, telefoniert, um die Sache voran zu bringen. In der Folge wurde mir dann im September eine Stellungnahme zu meinem offenen Brief zugesandt: Stellungnahme der Euregio

Letzten Endes bestand von Seiten der Euregio kein Interesse an einem Aufgreifen der Aktion. Es sei nicht Aufgabe des Verbundes von Kommunen, politisch aktiv zu werden. Das müsse jede einzelne Mitgliedsgemeinde für sich entscheiden. Es komme mir auch nicht zu, eine Forderung an die Euregio zu stellen, das dürften nur Mitglieder. Als ich nachfragte, wie ich Mitglied der Euregio werden könnte, bekam ich von Herrn Rubach die Auskunft, dass das wiederum nur für eine Kommune möglich sei.