Ex-Stadtrat: „Impfpflicht mit allen Konsequenzen einführen“
Manfred Hartforstner ruft bis 1970 gültiges Gesetz in Erinnerung – Freilassinger übergibt originale Impfscheine an das Stadtmuseum
Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, Franz Eder, 12.08.2021
Beitragsbild: Ans Stadtmuseum Freilassing gespendete Impfscheine von Pockenschutz-Impfungen in den Jahren 1942 und 1953, Fotos: Franz Eder
Siehe hierzu meinen Leserbrief in Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger am 14. August 2021 und den Leserbrief von Marianne Dodillet am 16. August 2021 in derselben Sache.
Freilassing. Zwei Zeitdokumente, die derzeit wohl aktueller denn je sind, hat Manfred Hartforstner vor wenigen Tagen dem Stadtmuseum um Archivar Otto Folzwinkler übergeben: Nämlich zwei originale Impfscheine. Sie beruhen auf einer Impfpflicht, die mittels eines Gesetzes vom 8. April 1874 eingeführt wurde. Wie der ehemalige SPD-Stadtrat berichtet, wurde es von Kaiser Wilhelm II. erlassen und hatte bis 1954 absolute Gültigkeit. Bei einer Nichteinhaltung wurden Strafen verhängt, die 50 Reichsmark oder drei Tage Haft vorsahen. „Vollkommen Uneinsichtige wurden per Polizei gefesselt zur Impfung gebracht“, weiß Hartforstner.
Da die Infektionen durch diese Maßnahmen, die sich offenbar bewährt hätten, bis auf wenige Fälle weiter zurückgegangen seien, habe man nach mehreren Aufweichungen des Gesetzes schließlich keine Notwendigkeit mehr gesehen, den Paragrafen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zu erhalten und ihn 1970 letztlich ganz abgeschafft. „Nach Beobachtung der letzten steigenden Inzidenzzahlen, die eine vierte Welle ankündigen, wäre es angebracht, diesen Paragrafen mit allen Konsequenzen wieder einzuführen“, betont der Freilassinger. Denn dass ein Umgang mit einer Impfpflicht in der Bevölkerung möglich sei, habe schließlich die Zeit von 1874 bis 1970 bewiesen. Die beiden Originaldokumente kann Manfred Hartforstner dem Stadtmuseum deshalb unbeschädigt übergeben, weil sein Vater unmittelbar vor der Flucht vor dem Bombenangriff auf Freilassing am 25. April 1945 alle persönlichen Dokumente in einen alten Reisekoffer packte und „zusammen mit dem damals wertvollsten Stück, dem Radioapparat,“ in den Keller des Mehrfamilienhauses an der Rupertusstraße brachte. „Das bewährte sich, da wir unsere Wohnung zusammen mit dem gesamten Haus vollkommen zerstört und dem Erdboden gleich wieder vorfanden. Nachdem größere Schuttmengen beseitigt waren, konnten diese Gegenstände unversehrt aus dem Keller geborgen werden.“
Natürlich ganz zur Freude von Otto Folzwinkler, der die Dokumente dankend entgegen nahm. Im Museum sollen sie einen Platz im Bereich der „Ortsgeschichte“ finden. Dabei nutzt der Archivar auch gleich die Gelegenheit, um für Nachahmer die Werbetrommel zu rühren: „Wir sammeln alles, was Freilassing betrifft. Und was einmal im Museum ist, kommt auch nicht mehr raus. Es braucht also keiner Angst haben, dass seine Raritäten wieder verkauft werden.“
Umso erfreulicher ist für Otto Folzwinkler und andere stadtgeschichtlich Interessierte, dass das Stadtmuseum nun pünktlich zu den Ferien wieder geöffnet ist – und zwar am Freitag und Samstag von 9.30 bis 12 Uhr.