„Antisemitismus“: Zu wenig differenziert

Leserbrief im Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, 06.12.2023

Zum Bericht „Jüdische Kunst erinnert an Zeit des Unrechts“ vom Montag, 4. Dezember:

„Irma Toledo und ihre Kunst als jüdisch zu bezeichnen, ist nicht ganz falsch, angesichts ihres Lebenslaufs aber auch nicht passend. Weder wurde ihre Kunst von den Nazis als jüdisch oder ,entartet‘ verfemt − das Regime war schon am absteigenden Ast, bevor Toledo mit ihren Werken richtig anfing; noch konnte sie sich mit dem religiösen Judentum identifizieren und auch nicht mit dem Leben in Israel. Sie drückte es so aus: Der Alltag in Israel war nicht nur hektisch, sondern es war alles auf ,Bleiben, Haften, Gegnerschaft aufgebaut, und das wollte ich nicht mitmachen‘. Toledo, die konvertierte und sich in den Sechzigern katholisch taufen ließ, wollte sich zum Christentum bekennen, sollte sie wieder verfolgt werden. Ihre jüdischen Wurzeln wollte sie dabei nie vergessen.

Die Ausstellung soll dem Gedenken an die antijüdische Verfolgung der Nazi-Zeit hier vor Ort dienen, dem Kunstgenuss, zum Nachdenken anregen und in diesem Sinne antifaschistisch sein. Sie ist lange geplant und keine Reaktion auf die aktuellen Geschehnisse um die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober dieses Jahres oder den Angriff der israelischen Armee auf den Gaza-Streifen.

In den deutschen Medien wird das Ansteigen des ,Antisemitismus‘ beklagt. Ich sehe das Zusammenfallen dieses Narratives mit dem Datum des Terrors mit Unbehagen. Dass es Judenhass in Deutschland gibt, bezweifle ich nicht. Wie jedoch der Diskurs verengt wird, Feindbilder gemalt werden und kriegerisch getönt wird, dient sicher nicht dem Schutz jüdischer Mitmenschen. Es wird zu wenig differenziert, der Begriff des Antisemitismus wird inflationär gebraucht und ernstzunehmende Warnungen, etwa der Vereinten Nationen, vor einem Genozid an den Einwohnern Gazas scheinen weniger bedeutend. Aus der Geschichte lernen stelle ich mir anders vor.“

Julian Traublinger, Freilassing, Organisator der Ausstellung