Kann nur noch mit dem Kopf schütteln

Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, Leserbriefe vom 29. März 2021 zu Radstreifen-Debatte, Kommentar und Wifo-Artikel

Zum Bericht „Radstreifen: Drama in zwei Akten“ in der Ausgabe von 27. März:

„Ich kann nur noch den Kopf schütteln über das Abstimmungsverhalten mancher Stadtratsmitglieder! Da geht es um die Erneuerung der Reichenhaller Straße – eine Baumaßnahme, welche wohl für die nächsten 20 oder 30 Jahre Bestand haben wird. Das Verkehrsministerium rät zur Errichtung von Fahrradwegen und Radstreifen entlang der Straßen, Experten (Polizei, Straßenbauamt, Ingenieursbüro) und der Stadtentwicklungsbeirat empfehlen (einstimmig!) einen Straßenausbau mit sog. Schutzstreifen für Radler; Bund und Länder bezuschussen solche Investitionen für den Radverkehr kräftig …

Gewiss wäre ein völlig abgetrennter Radweg noch sicherer, aber diese Möglichkeit fällt ja aus Platzgründen weg; und der Schutzstreifen ist ein deutliches Signal für die Autofahrer und ermahnt diese, Vorsicht walten zu lassen. Und dann gibt es elf Mitglieder des Stadtrats, die gegen einen zukunftsfähigen Ausbau mit Radschutzstreifen stimmen, elf Entscheidungsträger, welche sich die Zuschüsse für die Radstreifen entgehen lassen und welchen das Klima, die Luft und die Lebensqualität in unserer Stadt offensichtlich egal sind, die sich von Sachargumenten nicht leiten lassen; zehn Herren und zwei Damen von der FWG und der CSU erinnern mich fast ein bisschen an kleine Kinder in der Trotzphase. Warum stimmen sie gegen den Schutzstreifen?“

Dr. med. Thomas Körfgen, Freilassing


Wer steht hier neben der Spur?

Zum Kommentar „Stur neben der Spur“ in der Ausgabe von 27. März:

„Johannes Geigenberger hat sich eine nette Alliteration als Titel seines Kommentars („Stur neben der Spur“) einfallen lassen. Aber wie ist sie zu verstehen? Man könnt’s so sehen wie der Kommentator – man kann’s aber auch ganz anders sehen. Geigenberger meint: Die ausführlichen Vorberatungen im Stadtentwicklungsbeirat hätten ihren Zweck, dem Stadtrat „zuzuarbeiten“, verfehlt, und Mitglieder des Stadtrats schienen regelrecht vor den Kopf gestoßen angesichts des Wissensvorsprungs im Bürgergremium.

Nein, denn schließlich muss sich der Beirat im Vorfeld ausführlich informieren, um dem Stadtrat fundierte Empfehlungen geben zu können; außerdem nahm von jeder Fraktion mindestens ein Mitglied an der Beiratssitzung teil; Vertreter des Stadtratsgremiums waren also durchaus in die Beratungen des Bürgerbeirats eingebunden. Jedes einzelne – sich für die Stadt verantwortlich fühlende – Stadtratsmitglied konnte sich bei seinen Kollegen erkundigen und sich auf denselben Wissensstand bringen. Weiter Geigenbergers Kommentar: Bürgermeister Markus Hiebl sei im Stadtrat ‚eine unrühmliche Schlüsselrolle zugekommen‘. Nein, die ‚unrühmliche Rolle‘ spielten wohl eher jene (sich vielleicht etwas beleidigt fühlende) Stadträte, die fürchteten, eine regere Bürgerbeteiligung könnte an ihren Kompetenzen kratzen – und deshalb trotz vorliegender Sachargumente gegen das Votum des Bürgerrats stimmten. Sie blieben sogar ‚stur‘ und uneinsichtig in ihrer Position verhaftet, selbst dann noch, als sie erfahren hatten, dass den Bürgern der Stadt deshalb Zuschüsse in der Höhe von 200 000 Euro entgehen würden.

In einem Fall kann ich dem Kommentator jedoch ein bisschen Recht geben: Bürgermeister Hiebl müsse ‚zum ersten Mal in seiner Amtszeit eine ganze Menge Lehrgeld zahlen‘. Ja, Markus Hiebl und mit ihm alle Bürger und Wähler, die die Angelegenheit verfolgten, konnten nämlich nun erkennen, welche Stadtratsmitglieder vernünftig, sach- und zukunftsorientiert für die Stadt zu entscheiden vermögen und welche ‚stur neben der Spur‘ stehen, oder?“

Lenz Heuwieser, Freilassing


Willkommen in der Autofahrerstadt

Zum gleichen Thema:

„Willkommen in der Autofahrerstadt: Nach dem Abstimmungsverhalten der Stadträte der CSU, AfD und vier weiteren der FWG müsste das der neue Markenname unserer Stadt werden. Tatkräftig werden diese Abgeordneten vom Wifo unterstützt. Kein einziger Parkplatz soll für Radfahrer ‚geopfert‘ werden. Der Claim ‚Eisenbahnerstadt‘ könnte damit elegant entsorgt werden. Beim desolaten Freilassinger Bahnhof, der für Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine einzige Zumutung ist, sollte man diesen Slogan ohnehin nicht mehr benutzen. Noch dazu, wenn die weitere Finanzierung der Lokwelt von einzelnen Räten in Frage gestellt wird.

Zurück zur ‚Autofahrerstadt‘. Nach der von Johannes Geigenberger so trefflich beschriebenen Tragödie in zwei Akten wird es also keine Radschutzstreifen geben. Die Radfahrer sollen nach Dr. Wolfgang Krämer gefälligst in die Nebenstraßen ausweichen. Wie es dort zugeht, dürfte ihm nicht bekannt sein. Nicht wenige Autolenker brettern mit Tempo 60 durch die 30er-Zone. Rechts vor links wird gegenüber Radfahrern oft ignoriert. Spricht man Autofahrer auf ihr Verhalten an, geben viele an, dass sie gar nicht wüssten, dass sie sich in einer 30er-Zone befinden. Vom Ordnungsamt erhielt ich die Auskunft, dass zusätzliche Markierungen und Hinweisschilder nichts brächten. Welcher Logik da gefolgt wird, erschließt sich mir nicht. Nach diesem denkwürdigen Stadtratsbeschluss entsteht aus der Reichenhaller Straße eine weitere Rennpiste. Die Radfahrer sollen sich selbstredend von dort fernhalten. Es wird auf 200 000 Euro Fördergeld verzichtet, während die Stadt mitten in der größten Wirtschaftskrise seit 1945 in anderen Straßenbereichen Erschließungsbeiträge von den Anrainern gnadenlos einfordert. ‚Autofahrerstadt‘ ist ein Markenname aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhundert, aber was soll’s? ‚Fußgänger- und Radfahrerstadt‘ ist zwar zeitgemäß, aber das kann ja jeder, wie die Beispiele Traunreut oder die Schwesterstadt Salzburg zeigen. „

Kurt Liewehr, Freilassing