Erwin Hurter vor seinem Bioladen in der Freilassinger Gewerbegasse

Bio-Boom trotz Existenzängsten?

Ein Spaziergang mit… Pionier Erwin Hurter – Was er zur Kritik von Hias Kreuzeder sagt

Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, 19.01.2021

Freilassing. Mit den anhaltenden Lockdowns hält der Trend zum Daheim-Kochen an. Viele setzen dabei auf biologische Lebensmittel – ob aus dem Discounter oder dem Fachhandel. Und das, obwohl diese Produkte oft teurer sind. Wie kann das angesichts der wirtschaftlichen Lage und Existenzängsten sein? Die Heimatzeitung hat mit dem Freilassinger Bio-Pionier Erwin Hurter bei einem Spaziergang darüber gesprochen.

Erwin Hurter vor seinem Bioladen in der Freilassinger Gewerbegasse
Hat trotz Lockdowns gut lachen: Erwin Hurter vor seinem Laden in der Gewerbegasse. − Foto: Julian Traublinger

Hallo Herr Hurter, eigentlich würden Sie mit Ihrem Bioladen ja heuer Jubiläum feiern.
Erwin Hurter: Das stimmt, uns gibt es seit März 2016. Das fünfjährige Jubiläum wird nach dem Lockdown gefeiert.

Einst eine Nische, ist Bio heute in aller Munde. Trotzdem ist Ihr Geschäft weiter der einzige Bioladen mit Vollsortiment in der Grenzstadt – auch, wenn es freilich einige Reformhäuser gibt. Was ist der Unterschied?
Hurter: Reformhäuser legen ihren Schwerpunkt auf Kosmetik, Kurmittel und Nahrungsergänzungsmittel. Wir zeichnen uns in erster Linie durch frische Lebensmittel aus. Wobei wir das andere auch haben, der Kunde bestimmt, was ich verkaufe. Ich kenne auch die Arbeit im Reformhaus, dort tut man sich viel leichter. Der Bioladen bedeutet für mich tägliche Lieferungen und die Herausforderung, das richtige zu kaufen, so regional wie möglich. Aber mir macht es großen Spaß. Ich liebe ja selbst meine Produkte wie Schokolade oder Wein.

Ganz frech gefragt: Wieso sollen die Leute bei Ihnen einkaufen, wo es doch Bioware im Supermarkt viel billiger gibt?
Hurter: Wettbewerb ist immer gut. Ein Discounter muss aber eine große Menge in gleichbleibender Qualität liefern, das ist Bio ohne Seele. Da gibt es keinen Inhaber mehr vor Ort, keine Innovation, nur das altbewährte. Das Basteln, Tüfteln und Ausprobieren geht verloren. Bio braucht Kreativität und der Preis wird durch die Discounter gedrückt.

Finden Sie es Okay, einen teuren Bioladen zu betreiben, wo doch die meisten Leute jeden Cent zweimal umdrehen müssen?
Hurter: Erst einmal ist teuer eine Unterstellung. Der Kunde soll ordentlich kochen und nichts verschwenden, dann ist es nicht unbezahlbar. Kartoffeln und andere Grundnahrungsmittel sind nicht teuer, und daraus kann man so gute Sachen machen. Wenn man im Supermarkt Tiefkühlware kauft, dann ist es ungesund und teuer. Jeder hat seine Berechtigung, aber bei uns ist die Qualität hoch. Es geht darum, den anderen auch leben zu lassen. Dieses Umdenken ist in vollem Gange. Bei drei großen Discountern, die in Deutschland 75 Prozent der Lebensmittel verkaufen, leiden Vielfalt und Kreativität.

Vor einiger Zeit gab es das Interesse einer Bio-Supermarktkette, eine Filiale in Freilassing zu eröffnen. Mussten Sie Konkurrenz am Ort fürchten?
Hurter: Konkurrenz belebt das Geschäft. Wer im Einzelhandel die Konkurrenz scheut, wird nicht überleben. Was bietet ein Bio-Supermarkt anderes als ohnehin bisher? Da kann ich gleich Bio im großen Einkaufszentrum kaufen. Ich glaube nicht, dass mich die Kunden fallen lassen würden. Und ich liebe es, in Freilassing zu arbeiten.

Hias Kreuzeder berichtet in seinem Buch, wie er aus Protest aus dem Freilassinger Bauernladen austrat, weil Waren beim Großhandel bestellt wurden. Bei Ihnen kann der Kunde fast alles bestellen lassen. Was würden Sie ihm entgegnen? Sollte es in Zukunft nur noch Direktvermarkter geben?
Hurter: Hias Kreuzeder ist ein Pfundskerl, ich schätze ihn sehr. Direktvermarktung ist das beste. Aber es gibt so viele Produkte und der Kunde kommt mit dem Sortiment der Direktvermarktung nicht aus. Würde ich alles direkt vom Bauern beziehen, würde das meine Kapazität sprengen. Wir haben drei Großhändler und circa 40 Direktbelieferer. Dabei kann ich auch Einfluss nehmen auf den Großhandel. Für eine Metzgerei, die mich beliefert, habe ich ein gutes Wort beim Großhandel eingelegt, jetzt ist sie dort gelistet.

Ihren Café-Betrieb müssen Sie aufgrund der Corona-Maßnahmen geschlossen halten. Wie reagieren Ihre Kunden darauf und wie gehen Sie damit um?
Hurter: Die Kunden wissen es, dass es so ist, und ich akzeptiere das. Man braucht nicht darüber nachdenken, weil der Gesetzgeber für einen denkt.

Mit Erwin Hurter spazierte Julian Traublinger.