Prof. Franz Christoph Himmler beim Spaziergang

„An der Klinik ist ein Personalabbau zu erwarten“

Ein „Spaziergang“ mit Prof. Franz Christoph Himmler – Der 2. Vorsitzende der Krankenhausfreunde kritisiert Politik und KSOB

Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, 11.01.2022

Beitragsbild: Ärgert sich über Krankentransporte wegen einem „Schnitterl“: Prof. Franz Christoph Himmler. − Foto: Julian Traublinger

Zur Person: Siehe am Ende des Interviews

Freilassing. Die Würfel scheinen gefallen zu sein: Nach langem Hin und Her deutet alles auf einen Ersatzneubau des Reichenhaller Krankenhauses ebenfalls in der Kurstadt hin. Eine „Zentralklinikumslösung“ in Piding ist offenbar vom Tisch. Was das für den Standort Freilassing bedeutet, der ja zum Gesundheitscampus umgebaut werden soll, darüber spricht der stellvertretende Vorsitzende der Freilassinger Krankenhausfreunde, Prof. Franz Christoph Himmler, bei einem Spaziergang.

Herr Professor Himmler, wie ist das Freilassinger Krankenhaus derzeit aufgestellt?
Prof. Franz Christoph Himmler: Das Haus gehört der Kliniken Südostbayern AG (KSOB), als Mieter sind die Kliniken des Bezirks Oberbayern (kbo) mit der Psychiatrie dabei und ärztliche Praxen. Zwei der Praxen, eine für Gynäkologie und eine für Chirurgie, gehören zur KSOB. Eine Röntgen- und eine internistische-endoskopische-onkologische Arztpraxis werden privat von Ärzten betrieben. Sie funktionieren ausschließlich ambulant und rechnen mit allen Kassen ab.

Die Notfallversorgung ist erheblich eingeschränkt. Als ich mit einer Schnittwunde an der Fingerkuppe spätabends zur Notaufnahme ging, war alles in Ordnung, aber hätte die Verletzung genäht werden müssen, dann wäre das nur in Bad Reichenhall gegangen. Die Notaufnahme ist zwar immer bereit, aber die chirurgische Versorgung dahinter ist ja in Freilassing nur montags bis freitags von 8 bis 17 Uhr offen und an Feiertagen geschlossen. Von Freilassing fährt um die Zeit kein Taxi, geschweige denn ein Bus oder Zug. In so einem Fall müsste dann ein Krankentransport organisiert werden, oder?
Prof. Himmler: Ein Krankentransport wegen so einem Schnitterl, das ist unglaublich, stimmt aber, und es kennzeichnet genau unsere Situation hier.


„Schaffenskraft des Nordens wird nicht honoriert“


Ist das akzeptabel? Gehört nicht zu einem „richtigen“ Krankenhaus, dass es auch eine Notfallversorgung täglich rund um die Uhr gibt?
Prof. Himmler: Es ist ja nur ein kleiner Rest des früheren Krankenhauses da. In der Zukunft soll ja die ganze Notfallversorgung für unseren Landkreis in einem Zentralklinikum in Reichenhall stattfinden. Für Freilassing ist es eine weitere Verkleinerung und Verschlechterung des Angebots, wie das seit fast 20 Jahren Stück für Stück der Fall war. Nach meiner Meinung machen die Menschen in Freilassing, Saaldorf-Surheim und Ainring sehr, sehr viel für den gesamten Landkreis mit ihrer Arbeits- und Schaffenskraft, was aber überhaupt nicht richtig honoriert wird. Ohne die Unterstützung durch den nördlichen Landkreis sähe es um das Berchtesgadener Land ganz schlecht aus. Die Bevölkerung rund um Freilassing hat deutlich mehr „Respekt“, um es mit Olaf Scholz zu sagen, verdient und wesentlich mehr Anerkennung und Honorierung ihrer Leistungsfähigkeit.

Wie sieht es stattdessen aus?
Prof. Himmler: Nach der letzten Aufsichtsratssitzung am 7. Dezember wird in Freilassing wieder reduziert. Der stationäre Bereich wird verschwinden, eine geriatrische Tagesklinik, eine „Memory-Klinik“ und eine mobile geriatrische Reha sollen stattdessen kommen für den sogenannten Freilassinger „Gesundheitscampus“, was immer dies auch sein mag. Alle hiesigen Landräte, die ich erleben durfte, von Birnbacher, der mich in Freilassing einstellte, bis zu Landrat Kern, kamen ohne Ausnahme aus dem nördlichen Landkreis. Sie schauten aber alle, mit einer einzigen Ausnahme, besonders auf den Süden, Reichenhall und Berchtesgaden, weil die landesweit und weltweit bekannt waren. Nur Landrat Seidl schaute auch auf den nördlichen Landkreis. Er half uns bei der Erweiterung und Sanierung des Krankenhauses Freilassing zu einer wirklich guten, sehr leistungsfähigen Einrichtung, die inzwischen leider kaputt gemacht wurde. Auch Frau Kaniber kümmert sich fast nicht um den nördlichen Landkreis. Das neue Zentralklinikum soll – politisch motiviert – auch nach ihrer Meinung nach Bad Reichenhall.

Ich zitiere Herrn Gretscher: „Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass man überall alles vorhalten kann und noch dazu in hoher Qualität allen Anforderungen entsprechen“, so der KSOB-Geschäftsführer in einem Interview. Kommt Ihnen das nicht ein bisschen polemisch vor, angesichts der Situation in Freilassing? Zumal ja der Standort insgesamt in Frage stand, die Notfallversorgung und die Stationen bereits stark zurückgefahren wurden?
Prof. Himmler: Die Entwicklung geht schon etwa 20 Jahre, in denen in Freilassing nach und nach abgebaut wurde. Unser Verein war ja wirklich der erste, der die Idee von einem Zentralklinikum vor gut eineinhalb Jahren in die Welt setzte. Wir hatten uns für den Standort Freilassing stark gemacht, wegen der hervorragenden Grundstücks- und Verkehrssituation. Deshalb hatten wir uns für das Klinikum beworben. Nur auf diese Bewerbung reagierte der Reichenhaller Oberbürgermeister Dr. Lung extrem arrogant und hochmütig. Es handle sich um „unmaßgebliche, störende Zwischenrufe aus Freilassing“. Wir sind uns klar darüber, dass ein Zentralklinikum mit voller Notfallversorgung zusammengehört. Aber Freilassing wäre ein guter Standort, auch in der Mitte des Landkreises gewesen und hätte – als Oberzentrum – deutlich mehr „Respekt“ und Überlegung verdient gehabt aufgrund seiner hohen Leistungsfähigkeit für den ganzen Landkreis.

Es gelte „weiter den Blick nach vorne in die Zukunft zu richten und nicht zu sehr am Vergangenen festzuhalten“, so Gretscher. Das scheint ja das Mantra der Entscheider, auch von Landrat Kern, zu sein. Wie ist diese Aussage zu verstehen? Wird einfach der Komfort der Gesundheitsversorgung immer weiter eingeschränkt? Ist das unsere Zukunft?
Prof. Himmler: Die Gesellschaft ist zu wenig bereit, für die Gesundheit genügend zu investieren. Die Krankenhäuser werden gerechnet und geführt wie eine Firma oder ein Betrieb. Die Konsequenz für Freilassing ist, dass die Stadt überhaupt nichts mehr hat außer einem miserablen Bahnhof und einer sanierungsbedürftigen Berufsschule – und das als Oberzentrum! Reichenhall dagegen hat Gymnasium, ein Landratsamt, ein Theater, einen herrlichen Konzertsaal, ein Staatsorchester, die Therme, ein Krankenhaus und das Landesamt für Maß und Gewicht, wobei unklar ist, wohin letzteres soll. Freilassing und Umgebung sind extrem enttäuscht von der Vernachlässigung und Zurücksetzung der hiesigen Leistungsbereitschaft. Mit einer jüngeren und zunehmenden Bevölkerung hätte Freilassing als Zukunftsstadt mehr verdient.


Standort Reichenhall „aus Umweltgründen ungünstig“


Wie die Heimatzeitung berichtete, sollen bis 2030 lediglich 1,4 Millionen Euro in den Standort Freilassing investiert werden, am Standort Berchtesgaden 2,52 Millionen, aber satte 185 Millionen in Bad Reichenhall und gar 230 Millionen in Traunstein. Wie sind diese Zahlen einzuordnen? Das Freilassinger Krankenhaus soll nicht einmal ein Prozent des Budgets von Reichenhall bekommen!
Prof. Himmler: Das hier sind nur die staatlichen Investitionen und die des Trägers KSOB. Die betrieblichen Kosten zahlen zusätzlich die Krankenkassen, die sich dagegen natürlich auch wehren. Dabei muss die KSOB ständig mit den Kassen hart verhandeln in einem gewissen Turnus. Die Umplanung, die hier stattfinden soll, ist rein politisch geplant und weniger sachlich begründet. Platzmäßig ist es in Reichenhall sehr ungünstig. Ich sehe hier auch einige Probleme wegen der Umwelt, der Parkplatzsituation und dem Baurecht. Es kann wieder eine Technik im Keller durch Hochwasser gestört werden. Ich gehe davon aus, dass sich der Bund Naturschutz gegen den Standort stellen wird, da es sich an der Saalach um einen hochsensiblen Naturbereich handelt.

Wie sieht es bei der Psychiatrie in Freilassing aus? Kann sie den Standort weiter halten und die KSOB am Ort weiter stützen?
Prof. Himmler: Die Psychiatrie würde gerne am Zentralklinikum angeschlossen sein. Das geht aber nicht wegen des Platzmangels in Reichenhall. Sie wird wohl in Freilassing bleiben.

Und wie gestaltete sich das Budget bisher?
Prof. Himmler: Abgesehen von den erwähnten Investitionen gibt es für den Standort Freilassing kein extra Budget für laufende Betriebskosten. Meines Wissens nach werden diese Aufwendungen, getragen von den Krankenkassen, zusammen mit Reichenhall und Berchtesgaden aufgestellt. Diese Zahlen kriegt unser Verein nicht zu Gesicht, sie kommen nur im Nachhinein ins Internet und werden von der KSOB-Geschäftsführung festgelegt. Im Krankenhaus-Verein ist das Budget nicht im Gespräch.

Ist ein Personalabbau zu erwarten? Welche Einrichtungen des Krankenhauses sind besonders betroffen oder werden „geopfert“?
Prof. Himmler: Ja, es ist ein Personalabbau zu erwarten. Die kleine Innere Abteilung wird in Zukunft geopfert. Die Psychiatrie soll die Intensivstation betreiben mit einem Internisten. Wir hatten ja früher auch viele suizidgefährdete Patienten mit Vergiftungen aus der Justizvollzugsanstalt Lebenau. Aber auch für Suchtkranke könnte die Intensivstation eingesetzt werden, etwa bei einer Alkoholentgiftung. Um einen Blick auf die Entwicklung der Inneren Abteilung zu werfen: Sie hatte 2010 noch 40 Betten und vier Intensivbetten, jetzt nur noch 23 Betten und drei Intensivbetten, die auch jetzt schon unter anderen für die Psychiatrie da sind.

Welchen Gestaltungsspielraum hat der Verein der Freunde des Krankenhauses Freilassing? Welchen hat der Kreistag?
Prof. Himmler: Der Verein hat keine Entscheidungsmacht. Er kann nur Vorschläge unterbreiten. Diese lehnt die Geschäftsführung ab oder nimmt sie an, da haben wir gar keine Macht. Und der Aufsichtsrat sowie der Kreistag entscheiden über die Strukturen der KSOB wie Neubauten oder neue Abteilungen. Krankenversorgung ist immer Aufgabe der einzelnen Landkreise. Der Zusammenschluss von Berchtesgadener Land und Traunstein in der KSOB war sicher eine wichtige und gute Entscheidung. Es entscheidet tatsächlich der Aufsichtsrat unter dem wechselnden Vorsitz der beiden Landräte, die operative Arbeit kommt von der Geschäftsführung unter Herrn Gretscher. Etwa zwei Drittel der Aufsichtsräte kommen aus Traunstein und nur etwa ein Drittel aus dem Landkreis Berchtesgadener Land.

Kann man von einer funktionierenden Demokratie sprechen, wenn eigentlich nur der Vorstand der KSOB entscheidet, während glücklicherweise noch die beiden Landräte im Aufsichtsrat sitzen, der Kreistag und die breite Bevölkerung bleiben aber außen vor?
Prof. Himmler: Es ist zumindest demokratischer, als sagen wir einmal, bei irgendeiner Firma oder einem großen Betrieb. Denn die beiden Kreistage besetzen gemeinsam den Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat entscheidet über die Vorschläge der Geschäftsführung. Letztere hat den Vorteil, dass sie von A bis Z Bescheid weiß, während die Kreisräte das nur so nebenbei mitbekommen.

Welche Rolle wird die Situation mit der Corona-Virus-Krankheit spielen? Ist es okay, weiter Krankenhauskapazitäten zurückzufahren? Gemäß dem KSOB-Geschäftsführer ist das quasi ein natürlicher Vorgang, der durch Corona nur katalysiert wird, wie unser Blatt berichtete.
Prof. Himmler: Wahrscheinlich ist es so, dass Corona viele Betten erfordert, die nicht da sind und wegen fehlender Pflegekräfte nicht betrieben werden können. Manche wichtige Krebsoperationen wurden verschoben. Das ist ganz, ganz schlimm. Es wäre optimal, immer eine Personal- und Bettenreserve von zehn Prozent zu haben. Deutschlandweit wurde sicher an den Kliniken eingespart, im Landkreis Berchtesgadener Land eigentlich nicht, was ich überblicken kann. Aber nachdem alle Krankenkassen hinter Einsparungen her sind, gehe ich davon aus, dass das national sicher umgesetzt wurde.


Konkurrenz Salzburg: „Auch viele Reichenhaller dort“


Wie sieht die Zusammenarbeit mit Salzburg aus? Gibt es eine Abwanderung von einheimischen Patienten und damit eine mangelnde Wertschätzung für den Standort?
Prof. Himmler: Echte Notfälle können jederzeit nach Salzburg gebracht werden, das klappt sehr gut. Ansonsten gehen einige wenige Patienten über die Grenze, wobei dort die Anonymität und der unbekannte Großbetrieb viel stärker ausgeprägt sind als bei uns. Es gehen allerdings mehr nach Salzburg als umgekehrt. Die Aufnahmebereitschaft unserer Nachbarn ist gut, da kann man nichts sagen. Einbußen gibt es für den Standort Freilassing vielleicht schon, vor allem weil hier nicht mehr so viel angeboten wird. Aber es gehen sicher auch Reichenhaller nach Salzburg, davon bin ich überzeugt.

Welches Fazit würden Sie ziehen?
Prof. Himmler: Das sagte sehr gut in der letzten Aufsichtsratssitzung der ärztliche Kollege und Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbandes Berchtesgadener Land, Dr. Reichelt: „Wenn man das Spektrum zurückfährt, ist klar, dass die Zahlen zurückgehen“. Seit 20 Jahren gibt es leider immer mehr Abbau am Freilassinger Krankenhaus. Es wird immer weiter zurückgestutzt, obwohl die Bevölkerung unglaublich viel für den Landkreis tut und ihn unterstützt. Also ausgeprägte Enttäuschung, denn niemand tut etwas für Freilassing und die umliegenden Gemeinden Ainring, Saaldorf-Surheim und Laufen.

Es spazierte Julian Traublinger.

Zur Person:

Prof. Franz Christoph Himmler ist 1940 in Merseburg, nahe Leipzig geboren. Nach einer Kindheit im Allgäu und in München, wo er sein Abitur machte, studierte er zunächst Philosophie und Griechisch, um dann Mediziner zu werden. Nach Stationen als Arzt in Heidelberg, Regensburg und München wurde Prof. Himmler dann Chefarzt in Freilassing. Als gelernter Internist und Kardiologe leitete er hier die Innere Abteilung. Am Standort war Prof. Himmler von 1983 bis zum Ruhestand 2005 tätig. „Das war für mich eine gute Zeit, ich hätte auch nach Isny im Allgäu oder Pfaffenhofen an der Ilm gehen können, aber ich habe gerne in Freilassing gearbeitet“, betonte er im Interview. Bis 2007 half Prof. Himmler noch in anderen Häusern aus, bevor er von 2007 bis 2016 den Vorsitz des Freilassinger Krankenhausvereins übernahm. Diesen gründete Dr. Kuchlbauer 2003. Mittlerweile besetzt Prof. Himmler die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden. Die Leitung hat aktuell Norbert Schade, ehemaliger Chef des Pflegedienstes in Freilassing, inne.