„The Ramallah Concert“ / „Knowledge Is The Beginning“, Produktion: Paul Smaczny
In den beiden Filmen geht es um das West-Eastern Divan Orchestra, ein Jugendorchester, das aufgrund seiner Zusammensetzung für Verständigung über politische Grenzen hinweg steht, durch die Sprache der Musik. Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Nahen Osten, das heißt Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina und Israel, um nur einige Herkunftsnationen zu nennen, spielen zusammen in diesem von Star-Dirigent Daniel Barenboim geleiteten Ensemble. Und das auf professionellem Niveau.
Das West-Eastern Divan Orchestra wurde 1999 anlässlich der Veranstaltung Weimar Kulturhauptstadt 1999 von Barenboim zusammen mit dem palästinensischen Intellektuellen Edward W. Said gegründet. Der Dokumentarfilm „Knowledge is the Beginning“ zeichnet die Geschichte des Orchesters bis zu einem ersten Höhepunkt, dem Konzert in Ramallah 2005, nach. Letzterem ist mit „The Ramallah Concert“ ein extra Dokumentarfilm gewidmet. Darin enthalten sind Werke von Mozart, van Beethoven und Elgar, eingebettet in Reden palästinensischer Politiker sowie der Witwe von Edward W. Said, Mariam Said. Ihr Mann verstarb bereits 2003 an Leukämie, ein schmerzlicher Verlust für seinen Freund Daniel Barenboim, vielleicht noch mehr für die Menschen im ganzen Nahen Osten.
Eine Heimat fanden die Musiker im geschichtsträchtigen Andalusien, im spanischen Sevilla. Dort finden Proben statt und von der andalusischen Regierung wird das Orchester kräftig unterstützt. Beispielsweise sorgte sie dafür, dass für das Konzert in Ramallah spanische Diplomatenpässe zur Verfügung standen, so dass die spanische Regierung für den Schutz der teilnehmenden Personen aufkam. Auch Spanier sind Mitglieder im West-Eastern Divan Orchestra.
Damit werden die drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam komplettiert. In Andalusien hatte ihre Koexistenz bereits im tiefen Mittelalter Bestand. Diese Zeit brachte herausragende Philosophen hervor und eine Phase des friedlichen Zusammenseins unterschiedlicher Kulturen über Jahrhunderte hinweg. Somit ist es ein passender Ort für Barenboims Projekt.
In Berlin gibt es seit 2015 die Barenboim-Said Akademie zur Ausbildung „einer neuen Generation von Musikerinnen und Musikern“. Neben einer hochklassigen Unterrichtung an Instrumenten und in der Komposition gehören zum Lehrplan Kurse der Philosophie, Geschichte und Literatur, um die intellektuelle Neugier, kritische Reflexion und Ausdrucksfähigkeit der Studierenden zu fördern. Das Studium dauert vier Jahre und führt zum Bachelor of Music.
Wenn ich diese Dokumentarfilme sehe, kommen mir immer wieder Tränen der Rührung angesichts des Mutes und der Großartigkeit, mit welchen die Jungmusiker und ihr Maestro erfolgreich Geschichte schreiben. In Anbetracht der Ignoranz und des Hasses in der Bevölkerung im Nahen Osten ist es wirklich ein Kunststück, dieses Vorbild an Kultiviertheit und einer menschenwürdigen Alternative seit über zwanzig Jahren zu leben.
Ich hatte das große Glück, dass, als ich „Knowledge Is The Beginning“ das erste Mal in Salzburg im Kino sah, anschließend Maestro Barenboim und einige der Musiker in den Saal kamen und Fragen beantworteten. Sie waren etwas erschöpft, da sie direkt von einem Konzert bei den Salzburger Festspielen kamen. Trotzdem war es mir möglich, auch mit einem Orchestermitglied persönlich zu sprechen – eine große Ehre.
Das West-Eastern Divan Orchestra tourt jährlich um den Globus. Am 10. August 2022 tritt es als „Orchester zu Gast“ von 21:00 Uhr bis 22:20 Uhr bei den Salzburger Festspielen im Großen Festspielhaus auf. Für dieses Konzert gibt es derzeit noch Karten ab 60,00 Euro. Vor kurzem, am Dienstag, fand in Berlin ein Auftritt zugunsten der deutschen UNO-Flüchtlingshilfe statt.
Die beiden Filme geben einen Einblick in Hintergründe des Nahostkonflikts und persönliche Sichtweisen sowie Lebensumstände vieler Musikerinnen und Musiker, Barenboims und Saids, wie auch von Mitarbeitern, gewürzt mit klassischer Musik. Somit ist insbesondere „Knowledge Is The Beginning“, aber auch „The Ramallah Concert“ nicht nur für Klassik-Liebhaber interessant.
An einer Stelle erzählt Barenboim von der Begegnung mit einem Mädchen aus dem Publikum, als er 2002 in der Friends School in Ramallah als Solist auftrat: „Was mich am meisten berührte, war die Begegnung mit einem kleinen Mädchen. Ich fragte, ob sie glücklich sei, ob ich wiederkommen solle. Sie sagte: „Ja, ich bin sehr glücklich, dass Sie gekommen sind!“ Ich fragte sie: „Warum?“ Und sie sagte: „Sie sind das erste Ding…“ Ich erinnere mich genau an das Wort. „Sie sind das erste Ding aus Israel, das ich sehe, das weder ein Soldat noch ein Panzer ist.“ Sehen Sie? Dafür lohnt es sich, so was zu machen!“
Der Originalton ist zumeist in Englisch und Hebräisch, zum geringen Teil Deutsch mit Untertiteln in Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch und im Fall von „The Ramallah Concert“ zusätzlich Arabisch.