Heike Sänger und Rsowitha Butz vom Pflegeverein

„Da fahren wir voll gegen die Wand“

Mitarbeitern droht die Kündigung: Impfpflicht ist für Freilassinger Pflegeverein eine schwere Bürde
Reichenhaller Tagblatt / Freilassinger Anzeiger, Stefanie Weschler, 27.01.2022

Beitragsbild: Die Vorsitzende des Vereins „Begleitung von Menschen“ Heike Sänger (links) und ihre Stellvertreterin Roswitha Butz stärken ihren Mitarbeitern den Rücken. − Foto: Stefanie Weschler

Meine Empfehlung: Die Leserbriefe zum Artikel („Unverantwortlich“ und Antworten darauf)

Freilassing. Stichtag ist der 15. März: Bis dahin müssen Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegebereich nachweisen, dass sie vollständig gegen Corona geimpft sind. Ansonsten droht die Kündigung. Wie ein Damoklesschwert schwebt diese neue Gesetzgebung auch über dem gemeinnützigen Verein „Begleitung von Menschen“, der Senioren und Behinderte zu Hause versorgt. Vorsitzende Heike Sänger und ihre Stellvertreterin Roswitha Butz befürchten, dass sie etliche Mitarbeiter verlieren und Senioren nicht mehr versorgen können. Über die schwierige Lage des privaten Pflegevereins sprechen sie in unserer „Spaziergangs-Serie“.

Hallo Frau Sänger und Frau Butz, Ihr Verein ist in der Öffentlichkeit wenig bekannt.
Sänger/Butz: Wir machen bewusst kaum Werbung für uns. Sagen wir so, wir müssen nicht suchen nach unseren Aufgaben.

Vielmehr müssen Sie Leute, die bei Ihnen anfragen, abwimmeln.
Sänger/Butz: Ja, seit vielen Jahren. Der Bedarf im Pflegebereich ist riesig und uns fehlen seit Langem die Mitarbeiter. Schon oft ist eine Betreuung daran gescheitert, weil wir nicht wussten, wen wir hinschicken können.

Dieser Engpass droht sich massiv zu verschärfen, wenn ab 15. März die Impfpflicht für Mitarbeiter im Pflege- und Gesundheitsbereich gilt.
Sänger/Butz: Wir können diese Regelung nicht nachvollziehen. Vergangenes Jahr wurde noch vom Pflegebonus gesprochen, und heuer werden die Mitarbeiter entlassen.

Inwiefern ist Ihr Verein betroffen?
Sänger/Butz: Viele Senioren und auch Angehörige glauben, es sind eh schon alle Pflegekräfte geimpft. Aber das ist nicht so. Allein bei uns im Verein sind fast 40 Prozent unserer Mitarbeiter nicht geimpft beziehungsweise verlieren ihren Genesenen- und Impfstatus. Und die Situation ist bei anderen Pflegeeinrichtungen und -diensten nicht viel anders.


„Jede verlorene Kraft ist eine zuviel“


Was passiert, wenn die Impfpflicht rigoros umgesetzt wird?
Sänger/Butz: Das wäre dramatisch. Wenn die alle wirklich nicht mehr arbeiten dürfen, reißt das eine große Lücke. Die kann man nicht füllen, das fängt niemand ab. Da kommt dann einfach keiner mehr. Aber wer ist dann da und versorgt die Menschen? Dieses Problem gibt es im stationären Bereich genauso wie im ambulanten.

Kann sich ein Staat das leisten?
Sänger/Butz: Nein. Da fahren wir voll gegen die Wand, das ist eine Katastrophe mit Ansage! Jede Pflegekraft, die verloren geht, ist eine zuviel.

Wie ist die Stimmung im Verein?
Sänger/Butz: Sowohl bei den Senioren als auch bei unseren Mitarbeitern geht die Existenzangst um. Viele haben Sorge, dass der Verein nicht weiterbesteht. Diese Unsicherheit ist schwer auszuhalten und wir fürchten, sie treibt die Pflegekräfte in andere Berufe. Und es braucht niemand glauben, dass sie zurückkommen.

Wie geht es jetzt weiter?
Sänger/Butz: Der bürokratische Mehraufwand wegen Corona ist für unseren kleinen Verein so enorm, dass wir eine eigene Bürokraft eingestellt haben. Dazu kommt das Chaos der teilweise sehr kurzfristigen gesetzlichen Änderungen beim Impf- beziehungsweise Genesenenstatus. Bis 15. März müssen wir dem Gesundheitsamt melden, welche Mitarbeiter bei uns geimpft sind und welche nicht, sonst droht eine Strafzahlung. Dann werden wir sehen, was passiert.

Welche Möglichkeiten haben Sie als Arbeitgeber?
Sänger/Butz: Derzeit bereiten wir Anträge vor, dass unsere Leute unabdingbar sind. Wir hoffen, dass die Notwendigkeit unserer Arbeit erkannt wird und die Behörden Verständnis haben. Aber das Ergebnis ist völlig offen und der Schwebezustand belastend.


Unsicherheit zerrt an den Nerven


Vieles wird nicht so heiß gegessen wie gekocht, vielleicht ist das bei der Impfpflicht ja genauso. Die ersten Bundesländer und Kreise kündigen bereits an, sie nicht umsetzen zu wollen.
Sänger/Butz: Unser Eindruck ist, dass sich auch die Behörden nicht sicher sind, was durchsetzbar ist und was nicht. Wir sind uns ja auch nicht sicher, ob wir den Impfstatus unserer Mitarbeiter aus Datenschutzgründen überhaupt an die Behörden weitergeben dürfen.

Viele offene Fragen also.
Sänger/Butz: Wir hoffen jetzt einfach das Beste, denn mit unserer Arbeit verschaffen wir den Angehörigen die Auszeiten, die sie dringend brauchen, und wir ermöglichen es den Senioren, möglichst lange daheim zu bleiben. Das wollen wir weiterhin tun und dafür kämpfen wir.

Siehe auch den Leserbrief hierzu: Unverantwortlich